Kleines Rätsel: Warum kann Anna keine Ordnung halten? 

Wir machen in der Wochenreihe mit dem Thema „Kann man durch zu frühe Übernahme von Verantwortung im Erwachsenenalter überfordert sein“ weiter.

Damit die Aha-Erlebnisse, die ich dir in dieser Reihe schenken möchte, nicht in den bereits vorgeprägten Schubladen versinken, möchte ich dir Anna vorstellen.

Anna ist in unserer Geschichte 13 Jahre alt und fährt mit ihrer Klasse auf Klassenfahrt. Sie ist ein schlaues, waches Mädchen, hat 2 Geschwister, ist das Sandwichkind und meistert ihr Leben echt ganz gut.

Auf der Klassenfahrt werden die Zimmer zugeordnet. Anna hatte sich schon sehr früh bei Eva gemeldet und gefragt, ob sie sich ein Zimmer teilen wollen. Während der Zuordnung sitzt Eva bei Tim, die beiden unterhalten sich. Anna macht das ein bisschen nervös, weil sie sich nicht sicher ist, ob Eva sich an ihr Versprechen halten wird.

Als Eva gefragt wird, mit wem sie sich in ein Zimmer teilen möchte, zeigt sie freudestrahlend auf Anna. Anna grinst zurück und merkt, wie ihr ein riesen Stein vom Herzen fällt. Angekommen im Zimmer müssen alle Kinder ihr Bett selbst beziehen. Das Bettlaken sowie die Bezüge für Kissen und Decke liegen fein säuberlich auf der Matratze.

Anna beginnt sofort ihr Bett zu beziehen. Das kann sie. Das hat sie schon oft gemacht. Schließlich hilft sie ihrer Mutter viel im Haushalt. Eva setzt sich erst mal auf das Bett und scrollt am Handy herum. Sie hat keine Lust das Bett zu beziehen. Das will sie später machen.

Vor dem Abendessen gehen Anna und Eva zu Tim und Michael in das Zimmer. Anna mag Tim sehr, aber Tim hat nur Augen für Eva. Anna setzt sich zu Michael aufs Bett, Eva zu Tim. Michael ist sichtlich angespannt, weil Anna bei ihm sitzt. Sie schweigen sich an. Das ist Anna etwas unangenehm. Anna weiß nicht, dass Michael schüchtern ist, sie denkt er mag sie nicht.

Während die Kinder dort ihre Zeit verbringen, Anna sich nicht wirklich wohl fühlt, aber froh ist, dass Eva sie dabei haben will, erklärt Tim, dass er noch nie sein Bett selbst bezogen hat. Das würde immer sein Papa machen. Anna steht sofort auf und bietet an, dass sie das für Tim macht. Schließlich hat sie das schon so oft geübt und sie macht das gerne. Anna bezieht Tims Bett, danach Michaels Bett und zum Schluss auch noch Evas Bett. Eva hat einfach keine Lust und Anna fühlt sich wohl, wenn sie was tun kann und nicht mehr neben Michael auf dem Bett sitzen muss.

Es ist Abendessenszeit. Alle Kinder sitzen im Gemeinschaftsraum und hören den LehrerInnen zu. Es ist viel Aufregung im Raum und die Lehrerschaft ist unzufrieden. Kaum ein Kind kann sein eigenes Bett beziehen. Herr Wilhelm macht sich ein bisschen lustig darüber, dass man mit 13/14 sein eigenes Bett nicht beziehen kann. Anna fühlt sich gut. Sie kann ihr eigenes Bett beziehen. Plötzlich lobt Frau Schneider Tim und Michael sowie Eva und Anna. Sie wären die Einzigen, die bereits ihr Bett bezogen hätte. Anna fühlt sich ein bisschen wie eine geheime Heldin, die ihren Freunden geholfen hat. Jetzt wissen ihre Freunde, was sie an ihr haben.

Zwei Tage später geht es auf den Berg. Die Kinder werden wieder in zweier Gruppen aufgeteilt. Anna freut sich auf diesen Tag, denn es ist ein Orientierungslauf geplant. Darauf hat sie richtig Lust. Die Sonne scheint und Anna steht neben Eva. Sie kichern und freuen sich auf den Tag. Die Kinder stellen sich auf und sollen abwechselnd 1 und 2 abzählen. Darauf bilden sich dann die Gruppen. Kind 1 sowie das nächste Kind mit der Nummer 1 bilden eine Zweiergruppe. Anna stellt sich passend hin, damit sie auf jeden Fall mit Eva in die Gruppe kann. Nachdem Eva ihre Zahl gesagt hat, schubst Tim plötzlich Anna zur Seite und stellt sich an ihren Platz. Anna ist so perplex, dass sie nichts sagt und stehen bleibt. Ein Raunen geht durch die Reihen. Es kam bisher noch nicht so oft vor, dass ein Junge mit einem Mädchen eine gemeinsame Gruppe bilden wollte. Eva grinst, Michael grinst zurück und Anna schießen Tränen in die Augen.

Wochen später, Anna ist schon lange wieder zu Hause, bittet Annas Mutter sie ihr beim Bettenbeziehen zu helfen. Anna hat keine Lust. Sie hat einfach keine Lust, diese scheiß Betten zu beziehen. Warum soll sie immer alles machen? Für sie macht doch auch niemand etwas, oder?

Sie bockt rum. Ihre Mutter wird sauer, sagt ihr, dass Anna ihr ruhig mal helfen kann. Schließlich tut sie alles für Anna, aber sie ist keine Putzfrau hier für alle. Anna ist alt genug, mal zu verstehen, dass man in einer Familie sich gegenseitig hilft. Anna will nicht, sie will einfach nicht. Die Mutter legt auf alle Betten das Bettzeug und sagt zu Anna, dass sie jetzt Arbeiten geht (Spätschicht) und Papa in zwei Stunden kommt. Bis dahin sollen die Betten bezogen sein, sonst kann sie sich die Verabredung am Freitag schenken. „Wenn die Betten nicht bezogen sind, bis Papa kommt, kannst du deiner Eva für Freitag absagen.“

Anna geht in ihr Zimmer und spielt an ihrem Handy. „ihre Eva“ – denkt sie. Wenn Mama wüsste. Eva hat nur Augen für Tim. Anna versinkt in ihren TikTok-Feed und plötzlich hört sie, wie die Tür aufgeht. Papa!!!!!! Papa kommt nach Hause. Anna ist geschockt, denn eigentlich hätte sie noch eine Stunde Zeit gehabt. Sie hört Papa, steht sofort auf und beginnt ihr Bett neu zu beziehen. Papa öffnet die Kinderzimmertür schaut rein und sagt: „Solltest du nicht alle Betten beziehen?“

Anna nickt! Still. Anna weiß, wenn Papa leise und mit dieser einen Stimme mit ihr redet, dann war das erst der Anfang eines großen Streites. Anna sagt nichts und versucht, die Betten so schnell wie möglich zu beziehen. Als sie fertig ist, geht sie zu Papa in die Küche, der das Essen vorbereitet. Er schweigt. Ihr Geschwister, die auch in der Küche sitzen, schauen ihre Schwester nur an. Es liegt Ärger in der Luft, das wissen auch ihre Geschwister.

Während des Essens redet niemand. Anna räumt den Tisch auf, vielleicht kann sie Papa damit besänftigen. Sie räumt die Küche auf, vielleicht kann sie Papa damit besänftigen. Sie hört, wie Mama nach Hause kommt. Mama sieht müde aus von der Arbeit. Während Anna die letzten Töpfe vom Kochen abtrocknet, hört sie, wie Mama Papa erzählt, was sie auf der Arbeit erlebt hat.

Dann hört sie Mama sagen: „Ich kann auch nicht mehr. Anna macht, was sie will. Ich kann mich nicht mehr auf sie verlassen. Annas Pubertät macht uns alle fertig.“

Anna ist fertig mit der Küche. Sie will in ihr Zimmer. Sie weiß was jetzt kommt. Es ist Dienstagabend und vielleicht, wenn sie jetzt alles richtig macht, kann sie am Freitag doch zu Eva.

Anna geht am nächsten Morgen zur Schule. Niemand aus ihrer Familie hat heute Morgen mit ihr geredet. Mama hat sie nicht einmal angeschaut. Sie trank gebeugt ihren Kaffee und kümmerte sich um Annas Geschwister. Papa war schon aus dem Haus. Anna ist angespannt. In der Schule streitet sie sich eher aus Versehen mit Eva. Eva wollte, dass Anna am Freitag eine Stunde später zu ihr kommt. Anna hatte es falsch verstanden und dachte, dass Eva sie ausladen will. Sie stritten sich und Eva warf ihr vor, dass sie immer so anstrengend sei.

Als Anna nach der Schule zu Hause ankam, saß Mama am Küchentisch und beachtete Anna nicht. Anna ging in ihr Zimmer und machte Hausaufgaben. Anna wusste sonst nicht, was sie machen sollte. Hausaufgaben lenkten sie ab. Anna dachte über ihre Biologielehrerin nach. Frau Berning. Eine kleine Frau mit viel Power.

Heute war Mittwoch, sie hatte noch zwei Tage, um alles wieder gut zu machen. Als sie Papa die Tür reinkommen hörte, öffnete sie ihre Kinderzimmertür und ging zu ihm und begrüßte ihn. Papa nickte Anna zu und ging ebenfalls in die Küche, an den Küchentisch, an dem Annas Mutter noch saß.

Anna nahm ihren Mut zusammen und ging auch in die Küche. Sie hasste dieses Gefühl, wenn niemand mit ihr sprach. Aber sie wollte so gerne zu Eva am Freitag, also musste sie irgendwie in Kontakt mit Mama und Papa kommen. Sie ging zum Mülleimer und brachte den Müll raus. Danach fragte sie ihre Mama, was es heute zum Essen gibt und ob sie helfen kann. Mama guckte sie an und sagte: „Ach jetzt auf einmal? Jetzt kannst du helfen? Haste Angst, dass du am Freitag nicht zu Eva darfst, oder wo kommt dein plötzlicher Sinneswandel her?“

Anna merkte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Ja, sie wollte zu Eva, aber es stimmte einfach nicht, dass sie nur deswegen den Müll rausgebracht hat.

Wir switchen jetzt einmal in dieser Geschichte. Anna durfte natürlich nicht zu Eva und sollte erst mal beweisen, dass sie jetzt wirklich verstanden hat, worum es ihren Eltern geht.

 

Viele Jahre später, Anna ist jetzt Mitte 20 und hat eine eigene Wohnung, denkt sie darüber nach, warum sie einfach keine Ordnung halten kann. Ihr bester Freund und sie sitzen in der Küche und sprechen über das Leben. Anna geht es nicht gut. Sie ist krankgeschrieben. Sie war letzte Woche einfach in Ohnmacht gefallen. Die Ärzte sagten ihr, dass es vielleicht der Stress ist. Aber welcher Stress? Anna hatte einen guten Job, Freunde und doch ein schönes Leben. Ja, bis auf ihre Wohnung, die bekam sie nie richtig in den Griff.

Warum eigentlich nicht? Warum konnte sie denn nicht einfach ihre Wohnung in Schuss halten? Schließlich wusste sie doch, wie man das macht. Als Kind hat sie so viele Aufgaben im Haushalt übernommen und auch auf der Arbeit war sie wirklich ein ordentlicher Mensch. Strukturiert und sauber. Nur in ihrer Wohnung schienen andere Gesetze zu gelten. Sie lebte jetzt nicht im Messie Haushalt, aber doch: Ordentlich war dann irgendwie anders.

Ihren besten Freund störte das nicht. Den konnte sie immer reinlassen. Er war ordentlich. Sehr ordentlich. Machte sich seine Wohnung immer schön, weil er immer sagte, dann gehe es einem besser. Anna hatte ihm viel gezeigt, wie man etwas saubermache, wie man dekoriert und wie man es sich schön macht. Sie waren sogar zusammen Kissen kaufen, für sein Sofa, damit es kuscheliger aussah. Ihr bester Freund wusste nicht wie das geht. Anna wusste es aber.

Anna wollte sich auch zu Hause wohlfühlen. Aber sie war noch nie in der Lage, die Ordnung länger als eine Woche zu halten. Irgendwas kam immer, dass gefühlt die Wohnung explodierte und dann wieder keine Zeit war, diese aufzuräumen. Schließlich wollte Anna freitags mit Eva und ihrem besten Freund raus und nicht auch noch aufräumen….

Warum fällt es Anna so schwer ihre Wohnung ordentlich zu halten? Sie weiß doch, wie es gehen könnte. Was ist ihr Problem?

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Ich dachte nicht, dass die Frage in meinem Buch, ob wir den Zusammenbruch wirklich zulassen, nun so schnell Realität wird. Dennoch mag ich dich einladen, weiterzulesen und weiter zu verstehen.